Symbolbild Kaufrecht (Foto: © Robert Kneschke – stock.adobe.com)

Kaufrecht: Neue Auslegung der Mangelvermutung gemäß § 476 BGB zugunsten des Käufers

20.10.2016 | Medien- und Wirtschaftsrecht

Der Bundesgerichtshof hat mit der Entscheidung vom 12.10.2016 (Az. VIII ZR 103/15) seine bisherige Rechtsprechung zur Mangelvermutung bei Verbrauchsgüterkäufen geändert und europarechtskonform ausgelegt.

Sachverhalt: Latenter Mangel oder Bedienungsfehler des Käufers?

Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt handelt von dem Gewährleistungsstreit bezüglich eines gebrauchten PKWs. Das Automatikgetriebe dieses PKWs stellte fünf Monate nach Übergabe seine Funktion in Teilen ein. Das Fahrzeug schaltete nicht mehr selbstständig in den Leerlauf, sondern ließ stattdessen den Motor absterben. Ein Anfahren oder Rückwärtsfahren bei Steigung war ebenfalls nicht mehr möglich. Nach erfolgloser Fristsetzung zur Mangelbeseitigung trat der Kläger vom Kaufvertrag zurück und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 16.200€ und den Ersatz geltend gemachter Schäden. Für die Ermittlung der Ursache für den Schaden wurde ein Sachverständiger beauftragt. Dieser konnte allerdings nicht abschließend feststellen, ob der Schaden am Drehmomentwandler, auf einen zuvor bestehenden mechanischen Mangel bei Gefahrenübergang oder auf einen Bedienungsfehler des Käufers nach dem Kauf zurückzuführen ist.

Die Vorinstanzen haben daher mangels des Beweises einer Funktionseinschränkung bei Gefahrenübergang in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung die auf Kaufpreisrückzahlung gerichtete Klage abgewiesen.

Entscheidung: Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Käufers hinsichtlich des Auftretens eines Sachmangels innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang sind deutlich geringer geworden

Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs legte nämlich die Mangelvermutung des § 476 BGB deutlich strenger aus. So bezog sich die Vermutung lediglich auf die zeitliche Komponente. Konnte ein Sachmangel innerhalb der ersten sechs Monate nach Gefahrenübergang bewiesen werden, wurde nach § 476 BGB zugunsten des Käufers vermutet, dieser habe auch bereits bei Übergabe bestanden und ein Gewährleistungsanspruch wäre damit begründet. Das Bestehen eines solchen Sachmangels musste der Käufer allerdings immer noch selbst darlegen und beweisen. Dabei muss vor allem die Möglichkeit eines Bedienungsfehlers des Käufers als Ursache für den Defekt ausgeschlossen werden.

Dies erwies sich insbesondere bei technisch komplexen Produkten wie Autos, Computern und Telefonen als schwierig. Um die Ursache eines Mangels zu ermitteln und damit die Erfolgsaussichten einer Klage zu beurteilen, musste der Käufer in der Regel einen Gutachter beauftragen. Dieser zeitliche und finanzielle Mehraufwand führte häufig dazu, dass die womöglich begründeten Gewährleistungsrechte nicht wahrgenommen wurden.

Der Europäische Gerichtshof hatte allerdings im vergangenen Jahr in seinem Urteil vom 04.06.2015 (Az. C 497/13) die Auslegung der Mangelvermutung eher weit bestimmt.

Demnach sind die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Käufers hinsichtlich des Auftretens eines Sachmangels innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang entgegen der bisherigen BGH-Rechtsprechung geringer zu halten.

Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs muss der Käufer weder den Grund für den vertragswidrigen Zustand noch den Umstand beweisen, dass dieser dem Verkäufer zuzurechnen ist. Seine Pflicht beschränkt sich lediglich auf die Darlegung und den Nachweis, dass die erworbene Sache nicht den Qualitäts-, Leistungs- und Eignungsstandards einer Sache entspricht, die er zu erhalten nach dem Vertrag vernünftigerweise erwarten konnte.

Außerdem ist die Auslegung des § 476 BGB um die sachliche Komponente zu erweitern. Danach ist nun zu vermuten, dass der binnen sechs Monate nach Gefahrenübergang zu Tage getretene mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrenübergang vorgelegen hat. Damit wird der Käufer um den Nachweis erleichtert, dass ein erwiesenermaßen erst nach Gefahrenübergang eingetretener akuter Mangel seine Ursache in einem latenten Mangel hat.

Im vorliegenden Fall führte diese neue richtlinienkonforme Auslegung des § 476 BGB dazu, dass der BGH das vorinstanzliche Urteil mit der Ablehnung der Klage aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat. Insbesondere wird neu zu prüfen sein, ob der Beklagten der Nachweis gelungen ist, dass der akut aufgetretene Schaden am Freilauf des Drehmomentwandlers zum Zeitpunkt des Gefahrenübergangs auch nicht im Ansatz vorlag, sondern auf eine nachträgliche Ursache (Bedienungsfehler) zurückzuführen ist.

Fazit: Rechtliche Erleichterung für den Käufer für die Durchsetzung von Gewährleistungsansprüche

Für den Verbraucher ist diese Änderung der bisherigen Rechtsprechung nur zu begrüßen. Nun fällt die schwerwiegende Aufklärung des Mangelverursachungsverlaufs bei technisch komplexen Kaufgegenständen im Wesentlichen in das Problemfeld des Verkäufers und nicht in das des Käufers.

Man könnte dies zwar dahingehend kritisieren, dass die nun weite Interpretation des Anwendungsbereichs von § 476 BGB zu einer quasi garantieähnlichen Haftung des Verkäufers führt. Der Europäische Gerichtshof tritt dieser Kritik allerdings damit entgegen, dass es sich um Verbrauchsgüterkäufe handelt und daher keine allzu schwerwiegende finanzielle Folgen zu erwarten sind. Vor allem da ein wirtschaftlich denkender Verkäufer ein zusätzliches Gewährleistungs-Kostenrisiko in den Verkaufspreis einkalkulieren wird und der Käufer hierrüber auch Kenntnis hat, allerdings aus guten Gründen sich dennoch an einen Händler und nicht an einen Privatverkäufer wendet.

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