Jugendstrafrecht: Revision erfolgreich und die Aufhebung einer Verurteilung wegen Raubes erreicht
16. Dezember 2019
Die jugendliche Mandantin wurden durch das Amtsgericht wegen Beihilfe zum schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Das Amtsgericht war dem Antrag auf Freispruch des Verteidigers Benjamin Grunst nicht gefolgt. Gegen die Verurteilung legte der Fachanwalt für Strafrecht fristgemäß Revision ein. Das Urteil wurde durch einen Beschluss des Kammergerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.
Revision oder Berufung im Jugendstrafrecht
Die Rechtsmittel sind in Jugendstrafverfahren eingeschränkt. Nach einem erstinstanzlichen Urteil muss man sich entscheiden, ob man Berufung oder Revision einlegt. Bei der Berufung wird die Tatsacheninstanz vor dem Landgericht nochmals wiederholt. Es werden die Beweismittel wie Zeugen, Urkunden und Augenscheinsobjekte (Fotos) durch andere Richter erneut erhoben und unabhängig von der ersten Instanz bewertet. Bei der Revision werden Rechtsfehler gerügt. Es erfolgt keine erneute Beweisaufnahme, sondern die rechtliche Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils. Welches Rechtsmittel man wählen sollte, entscheidet sich nach dem Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe und der Einsicht in das Hauptverhandlungsprotokoll.
Aufhebung des Urteils wegen fehlen des letzten Wortes
Der minderjährige Angeklagte und seine gesetzlichen Vertreter haben das „letzte Wort“ im Verfahren. Das bedeutet nach den Plädoyers der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers hat der Angeklagte und die gesetzlichen Vertreter (Eltern) nochmal die Möglichkeit dem Gericht vor der Urteilsberatung die „letzten Worte“ mit auf den Weg zu geben. Im vorliegenden Fall wurde genau dies von dem Amtsgericht übersehen und der Angeklagten nicht gewährt. Die Revision wurde aufgehoben, da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die letzten Worte der Angeklagtin das Gericht zu einer anderen Entscheidung bewegt hätten.
Beschluss des Kammergerichts zur Sprungrevision im Jugendstrafrecht
Folgend Auszüge aus der hiesige Beschluss des Kammergerichts Berlin zu der erfolgreichen Revision:
„Das Jugendschöffengericht hat die Angeklagte der Beihilfe zum schweren Raub in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen und sie angewiesen, (im Urteil näher bestimmte) Freizeitarbeiten abzuleisten.
Mit ihrer zulässigen Sprungrevision (§ 335 StPO) rügt die Angeklagte die Verletzung formellen und
sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel hat mit den auf die Verletzung der §§ 258 Abs. 2 Hs. 2 StPO; 67 Abs. 1 JGG i.V.m. 258 Abs. 2 Hs. 2 StPO gestützten Verfahrensrügen Erfolg, sodass es auf die weiterhin erhobene Sachrüge nicht mehr ankommt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat in ihrer Zuschrift vom 5. November 2019 zu der Revision wie folgt Stellung genommen (Änderungen und Ergänzungen des Senats in eckigen Klammern):
,,Das Rechtsmittel dringt bereits mit der erhobenen Verfahrensrüge durch.
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil der Angeklagten entgegen § 258 Abs. 2 StPO das letzte Wort nicht gewährt wurde. Fernerist auch der in der Verhandlung anwesenden Mutter der Angeklagten dieses nicht eingeräumt worden. Diese hätte als Erziehungsberechtigte der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung minderjährigen Angeklagten gemäß §§ 67 Abs. 1 JGG, 258 Abs. 2 StPO ebenfalls das Recht auf das letzte Wort gehabt (vgl. Brunner/Dölling in: Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, 13. Aufl. 2017, §.67 Rn. 13).
Die Verfahrensrüge ist entsprechend den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführt. Es werden die den Mangel enthaltenden Tatsachen so genau bezeichnet und vollständig angegeben, dass das Revisionsgericht schon an Hand der Revisionsschrift (ohne Rückgriff auf die Akten) prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt (vgl. zu den Anforderungen Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 344 Rn. 20 ff. m. w. N).
Die Rüge ist auch begründet. Dem Hauptverhandlungsprotokoll ist zu entnehmen, dass nach der Schließung der Beweisaufnahme zunächst die Schlussanträge der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung erfolgten. Anschließend hatten die Angeklagten das letzte Wort. Allerdings wurde der im Saal anwesenden Mutter der Angeklagten – ebenso wie den Erziehungsberechtigten der anderen Angeklagten – das letzte Wort nicht erteilt.
Kurz darauf trat das Gericht wieder in die Beweisaufnahme ein, um den rechtlichen Hinweis zu erteilen, dass hinsichtlich der Angeklagten auch eine Verurteilung wegen Beihilfe (§ 27 StGB) zu der den vorgeworfenen Tat in Betracht käme. Sodann wurde die Beweisaufnahme wiederum geschlossen. Anschließend verkündete das Amtsgericht Tiergarten das Urteil, ohne dass erneut plädiert worden […] oder den Angeklagten und ihren Erziehungsberechtigten noch einmal das letzte Wort gewährt worden wäre. Im Falle des Wiedereintritts in die Hauptverhandlung müssen jedoch die in § 258 StPO vorgeschriebenen Worterteilungen – mithin auch das letzte Wort des Angeklagten im Sinne des § 258 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO – wiederholt werden (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2014 – 3 StR 185/14 – juris [= NStZ 2015, 105 = StV 2015, 474]). Dies ist vorliegend unterblieben.
Das Urteil beruht auch auf diesem Verstoß. Die Nichtbeachtung des § 258 StPO ist zwar ebenso wenig wie der Verstoß gegen § 260 Abs. 1 StPO oder gegen § 261 StPO ein absoluter Revisionsgrund, doch wird das Urteil in der Regel auf der Verletzung des § 258 StPO beruhen, weil das Revisionsgericht nicht weiß, was der Berechtigte vorgetragen hätte. Folglich kann bei Versagung des letzten Worts, dessen Sinn gerade ist; dass der Angeklagte noch im letzten Augenblick entlastende Umstände vorbringen kann, nur in besonderen Ausnahmefällen ausgeschlossen werden, dass er dadurch das Urteil zu seinen Gunsten hätte beeinflussen können (Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO; 26. Aufl. 2012, § 258 Rn. 68). Auch im vorliegenden Fall ist nicht auszuschließen, dass die Angeklagte oder ihre Mutter in ihrem letzten Wort Angaben gemacht hätten, die das Gericht zu einer anderen Entscheidung veranlasst hätten.
[…]
Eine Erstreckung des Urteils […] auf die Mitangeklagten nach § 357 StPO scheidet […] aus, da die Voraussetzung[en] hierfür nicht vorliegen. Die Vorschrift ermöglicht eine Durchbrechung der Rechtskraft, um Ungleichheiten bei der Aburteilung mehrerer Angeklagter zu vermeiden, die nicht alle Revision eingelegt haben. In Betracht kommen hierfür in erster Linie sachlich-rechtliche Fehler. Liegt wie hier jedoch ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht vor, ist § 357 StPO nicht anwendbar (vgl.
Meyer-Großner/Schmitt, stopp, 62. Aufl., § 357 Rn. 11).“
Diese Ausführungen entsprechen im Ergebnis der Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2012 – 5 StR 503/12 -; Senat, Beschlüsse vom 29. November 2010 – [4] 1 Ss 476/10 [230/10] – und vom 5. April 2011 – [4] 1 Ss 122/11 [74/11] – mwN); der Senat entscheidet auf ihrer Grundlage gemäß dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.
Zu ergänzen bzw. klarzustellen ist in Bezug auf die Beruhensfrage noch das Folgende: Dass das Recht der Beschwerdeführerin, sich zu dem Beihilfevorwurf als letzte abschließend und erschöpfend zu äußern, in entscheidungserheblicher Weise beeinträchtigt worden ist, folgt auch aus dem Vortrag der Revision. In der Revisionsbegründungsschrift ist – insoweit nachvollziehbar – dargelegt, dass die Angeklagte, wenn sie sich nach Erteilung des rechtlichen Hinweises erneut abschließend hätte äußern können, noch Ausführungen zum (Nicht-)Vorliegen einer Beihilfehandlung und zur Frage des aus ihrer Sicht ebenfalls nicht gegebenen Vorsatzes hinsichtlich einer Beihilfehandlung gemacht hätte, sie insbesondere auch – unter Bezugnahme auf Aktivitäten des Mitangeklagten in sozialen Netzwerken – geltend gemacht hätte, dass die Einlassung dieses Mitangeklagten in der Hauptverhandlung, die vom Jugendschöffengericht in der Beweiswürdigung zum Schuldspruch gegen die Angeklagte zugrunde gelegt worden ist, dessen Aussage bei der Polizei widersprochen habe und von dem Bestreben getragen gewesen sei, der Angeklagten nach
dem Ende der zwischen beiden damals bestehenden Liebesbeziehung aus verletztem Stolz zu schaden.
Es kann angesichts dessen nicht ausgeschlossen werden, dass sich der dargelegte Rechtsfehler nicht nur auf dem Rechtsfolgenausspruch, sondern auch auf den Schuldspruch ausgewirkt hat. Auf die Frage, ob das rechtsfehlerhafte Unterlassen der Worterteilung an die Mutter der Angeklagten neben dem Rechtsfolgenausspruch auch den Schuldspruch berühren konnte (vgl. zu dieser Problematik etwa BGH NStZ 2000, 553; Stuckenberg aaO Rn. 69 mwN), kam es hiernach nicht mehr an.
Der von der Revision nach allem mit Recht gerügte Verfahrensverstoß erfordert die Aufhebung des angefochtenen Urteils gemäß § 349 Abs. 4 StPO und führt zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO)