Pflichtverteidigerbestellung in Wirtschaftsstrafsachen

30. Juli 2016

Das Kammergericht Berlin entschied in seinem Beschluss vom 09.02.2016 (Az. (4) 121 Ss 231/15 (5/16)), dass die derzeit noch nicht geklärte Frage, ob die Unmöglichkeit der Erfüllung der Pflicht zu Bilanzerstellung die Strafbarkeit nach §§ 283 I Nr.7b, 283b I Nr.3b StGB entfallen lässt, die Erforderlichkeit eines Pflichtverteidigers begründet.

Sachverhalt: Rechtswidrige Verwerfung einer Berufung wegen fehlendem Verteidiger

Der Revisionsführer wurde am 22.07.2014 vom Amtsgericht Tiergarten wegen Insolvenzverschleppung, Verletzung der Buchführungspflicht und Bankrotts verurteilt.

Hiergegen legte er damals Berufung ein, welche vom Landgericht Berlin allerdings verworfen wurde.

Nun trägt er in der Revision die Verfahrensrüge vor, die Berufungsverhandlung habe in Abwesenheit des Verteidigers stattgefunden. Dessen Anwesenheit wäre jedoch nach § 338 Nr.5 StPO erforderlich gewesen.

Entscheidungsgründe: Zur Erfüllung der Bilanzerstellungspflicht fehlen die finanziellen Mittel – Unmöglichkeit oder Verstoß gegen die Vorsorgeverpflichtung?

Maßgeblich war nun die Frage, ob die Voraussetzungen zur Bestellung eines Pflichtverteidigers in dem Berufsverfahren vorgelegen haben. Hierfür musste die Rechtslage eine Schwierigkeit aufweisen, welche die Mittwirkung eines Verteidigers notwendig machen würde.

Eine solche Schwierigkeit besteht insbesondere dann, wenn nicht abschließend geklärte Rechtsfragen aus Bereichen außerhalb des Kernstrafrechts entscheidungserheblich sind oder wenn die Subsumtion im Einzelfall problematisch ist.

Im vorliegenden Fall hatte das Amtsgericht Tiergarten sich mit der Frage der (Un-) Möglichkeit der Handlungspflichterfüllung zu beschäftigen.

Die hier maßgeblichen Normen des Bankrotts nach § 283 I Nr.7b StGB und der Verletzung der Buchführungspflicht gemäß § 283b Abs.1 Nr. 3b StGB sind echte Unterlassungsdelikte. Eine Strafbarkeit würde daher bei einer rechtlichen oder tatsächlichen Unmöglichkeit der Bilanzerstellung entfallen.

Nach bisheriger Rechtsprechung ist so eine tatsächliche Unmöglichkeit gegeben, wenn der Pflichtige zur Erstellung der Bilanz sich der Hilfe eines Steuerberaters bedienen muss, die hierfür erforderlichen Mittel jedoch nicht aufbringen kann.

Eine seit neustem vordringende Meinung vertritt hingegen die Ansicht die Unmöglichkeitsberufung zu versagen und stattdessen einen Rückgriff auf die Rechtsfigur der omission libera in causa in Betracht zu ziehen.

Diese Rechtsfigur bezieht sich auf Täter, welche sich durch ein vorsätzliches Vorverhalten in die Position versetzen, einen Schaden nicht mehr abwenden zu können.

Die neue Meinung fordert, dass ein Unternehmensgeschäftsführer eine rechtzeitige Vorsorge treffen muss, so dass das Führen der Bücher und die Erstellung von Bilanzen gerade auch in einer Krise, bei der einer solche ordnungsgemäße Führung eine besondere Bedeutung zukommt, gewährleistet ist.

Der BGH hat sich noch nicht hinsichtlich einer dieser Meinungen festgelegt, so dass eine abschließende Klärung dieser Frage nicht möglich ist.

Dies führt wiederrum zu einer schwierigen Rechtslage, welche die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 338 Nr. 5 StPO begründen würde.

Im Ergebnis ist der Revision daher stattzugeben. Die Berufungshauptverhandlung verlief durch das Fehlen eines Verteidigers daher rechtswidrig.

Fazit: Ungeklärte Rechtsfragen führen zu dem Erfordernis einer Pflichtverteidigungsbestellung

Bei schwierigen Rechtslagen, wo Fragen von der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt sind, besteht die Notwendigkeit eines Pflichtverteidigers.

Sollte dies übersehen werden, führt es zur Rechtswidrigkeit des Verfahrens.

Eine solche noch nicht abschließend geklärte Rechtsfrage ist das Vorliegen der tatsächlichen Unmöglichkeit im Falle der Pflicht zu Bilanzerstellung. Sind die finanziellen Mittel hierfür nicht gegeben, so hält eine Meinung dies für das Eintreten der tatsächlichen Unmöglichkeit und daher auf der Strafbefreiung.

Eine andere Meinung fordert die Pflicht zur finanziellen Vorsorge von Geschäftsführern, um vorsätzliches Vorverhalten zur Umgehung der Strafbarkeit zu unterbinden.

 
Es bleibt abzuwarten in welche Richtung die Rechtsprechung sich entwickeln wird. Bis dahin besteht in Fällen, wo diese Frage entscheidungserheblich ist, das Erfordernis der Pflichtverteidigungsbestellung.
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