Freispruch nach dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs
unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses in Tateinheit mit Vergewaltigung gegen einen Altenpfleger
18. April 2021
Sachverhalt des Sexualstrafverfahrens und Stellungnahme: Vorwurf der sexuellen Nötigung / des sexuellen Missbrauchs
Der Angeklagte war beschäftigt als Pfleger in einem Seniorenheim. Im Rahmen dieser Pflegearbeiten soll er drei der Bewohnerinnen und seiner Patientinnen im Intimbereich berührt und dabei sexuell anzügliche, frivole Kommentare abgegeben haben (§ 174c StGB). Dies sei gegen den Willen der Geschädigten geschehen.
Der Beschuldigte war bislang nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten und stand extrem unter persönlichen Druck durch das Strafverfahren.
Nach Bekanntwerden der vermeintlichen Vorfälle durch Zeugenaussagen des Pflegepersonals wurde der Angeklagte mit sofortiger Wirkung vom Dienst freigestellt und der Arbeitsvertrag zum Ende des Jahres aufgelöst.
Zwei der drei Geschädigten konnten keine Aussagen zur Sache machen, sie waren nicht vernehmungsfähig, wohl aufgrund von Demenz. Die dritte Geschädigte äußerte sich zum Geschehen, wobei nicht ausdrücklich geklärt werden konnte, ob die Berührungen die Grenze der notwendigen Pflegearbeit überschritten hatten. In diesem Zusammenhang kann es zu Missverständnissen kommen, die sich vor Gericht nur schwer aufklären lassen.
Für die Eröffnung des Hauptverfahrens, d.h. für die Anklageerhebung, ist erforderlich, dass ein hinreichender Tatverdacht besteht, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat. Die bloße Möglichkeit genügt hierbei nicht. Ein Tatverdacht ist hinreichend, wenn bei vorläufiger Bewertung der Beweismittel eine Verurteilung wahrscheinlich ist. So liegt es hier aber gerade nicht, da keine Anhaltspunkte vorliegen, dass die vom Beschuldigten durchgeführten Maßnahmen nicht von der Pflege umfasst waren oder es überhaupt zu den Berührungen kam. Die Aussagen der Zeugen sind insoweit nicht eindeutig, sondern vielmehr widersprüchlich.
Mandatsannahme und Verteidigung durch den Anwalt für Sexualstrafrecht
Nachdem Strafanzeige gegen den Beschuldigten gestellt wurde, wandte er sich an Herrn Rechtsanwalt Grunst und erteilte ihm die Vertretung im Ermittlungsverfahren.
Im Zuge dessen beantragte Herr Grunst Akteneinsicht gegenüber der Staatsanwaltschaft. Auf eine Äußerung zum Sachverhalt verzichtete der Beschuldigte auf Rat seines Strafverteidigers, daher kam es auch nicht zu einer Beschuldigtenvernehmung.
Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft
Trotz der obigen Ausführungen erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses und zugleich wegen der Vornahme sexueller Handlungen gegen den erkennbaren Willen einer Person, §§ 174c Abs. 1, 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 52, 53 StGB.
Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht
In der Hauptverhandlung schwieg der Angeklagte und berief sich damit auf das ihm gesetzlich zustehende Aussageverweigerungsrecht.
Es wurden vier Zeugen in den Zeugenstand gerufen. Diese berichteten zum Teil konträre Eindrücke des Geschehens und widersprachen sich, es wurden zudem stark entlastende Beobachtungen geschildert, welche die Unschuld des Angeklagten untermauern.
Zwei Zeuginnen, die mutmaßlichen Opfer, konnten als „Zeugen vom Hörensagen“ keine Aussagen darlegen, welche eigene Wahrnehmungen zu den vorgeworfenen Handlungen beinhalten. Sie waren aufgrund eines Todesfalls und einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung nicht in der Lage, vor Gericht auszusagen.
Die Strafprozessordnung verlangt eine freie, „aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpfte
Überzeugung“ (§ 261 StPO). Diese notwendige Sicherheit, d.h. eine Überzeugung von der Wahrheit mit einem so hohen Grad an Wahrscheinlichkeit, welche vernünftige Zweifel nicht bestehen lässt, lag hier aber gerade nicht vor. Bei solchen Zweifeln entscheidet das Gericht zugunsten des Angeklagten nach dem in „dubio pro reo“ – Grundsatz.
Nach den Aussagen plädierte Rechtsanwalt Grunst auf Freispruch.
Der Angeklagte wurde schließlich in allen Punkten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Insbesondere das Sexualstrafrecht ist geprägt von Aussage-gegen-Aussage Konstellationen, was häufig dazu führt, dass keine weiteren Beweise vorliegen und infolgedessen zugunsten des Beschuldigten entschieden wird. In der vorliegenden Situation besteht eine solche schwierige Konstellation, da immer nur zwei Personen anwesend waren oder – bei Anwesenheit einer weiteren Person – diese nicht aussagetüchtig war.