Beschleunigte Verfahren –
Pro und Contra von Schnellverfahren im Strafrecht
Beschleunigte Strafverfahren. Wann möglich? Kommen beschleunigte Strafverfahren dem Beschuldigten zugute?
Schnell zum Inhalt:
In bestimmten Deliktsbereichen wird immer wieder über die Frage diskutiert, ob und wie die Beschleunigung eines Strafverfahrens möglich wäre. Beispiele dieser sogenannten Empörungskriminalität, an denen sich die Debatte über beschleunigte Verfahren jüngst neu entflammte, sind die „Freibad-Fälle“ aus Berlin oder solche rund um die „Klima-Kleber“.
Es stehen sich dabei das Bedürfnis nach einer sorgfältigen Sachverhaltsaufklärung und einem fairen Verfahrensablauf und das Interesse, ein Strafverfahren möglichst schnell durchzuführen, gegenüber. Doch wie würde ein beschleunigtes Verfahren funktionieren und wieso stehen viele Rechtsexperten solchen Forderungen kritisch gegenüber?
Wie lange dauern Strafverfahren? Wieso „Schnellverfahren“?
Oftmals wird unter einem Strafverfahren nur die Hauptverhandlung verstanden. Verkannt wird dabei allerdings, dass es neben der mündlichen Verhandlung vor dem Strafgericht noch weiter Verfahrensabschnitte gibt, die sehr wichtig sind. Das Strafverfahren ist demnach als Ganzes ein komplexer und vielschichtiger Prozess, der sich aus einem Vorverfahren (Ermittlungen), Zwischenverfahren (Prüfung der Strafverfolgung durch das Gericht) und dem Hauptverfahren (insbesondere die Hauptverhandlung) zusammensetzt.
Allein durch diese bruchstückhaften Erläuterungen wird klar, dass Verfahren entsprechend Zeit und Kapazitäten in Anspruch nehmen und selten in wenigen Wochen erledigt sind. Allein der erste Teil, in dem Beweise hinsichtlich der Tatvorwürfe, mögliche Zeugen etc. ermittelt werden, dauert meist mehrere Monate. Wie lange das gesamte Verfahren dauert, hängt dabei natürlich von den Umständen jedes einzelnen Falles ab, insbesondere seiner Komplexität.
Was ist ein beschleunigtes Verfahren?
Bei einem beschleunigten Verfahren steht im Vordergrund, dass die Hauptverhandlung sofort oder möglichst schnell stattfindet. Das heißt, die Verfahrensschritte davor, die sich um die Ermittlung des Sachverhalts und die Frage, ob das Hauptverfahren eröffnet wird, drehen, fallen quasi weg. Es gelten außerdem sehr viel kürzere Fristen, es bedarf keiner schriftlichen Anklageerhebung (§ 418 Abs. 3 S. 1 StPO) und es werden ggf. Ausnahmen von Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsatz (vgl. § 420 Abs. 1 StPO) gemacht. Das bedeutet zum Beispiel, dass eine Zeugin nicht mehr vor Gericht in der Hauptverhandlung aussagen muss, sondern dass stattdessen das Protokoll einer früheren Vernehmung (z.B. vor der Polizei) verlesen werden darf. Letzterem muss zuvor jedoch die angeklagte Person, der Verteidiger und die Staatsanwaltschaft zustimmen (§ 420 Abs. 3 StPO).
Wie funktioniert ein beschleunigtes Verfahren?
Zunächst muss die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren stellen. Liegen die erforderlichen Voraussetzungen zur Beschleunigung vor, so ordnet das Amtsgericht ein solches Verfahren an (vgl. § 417 StPO). Die Hauptverhandlung findet dann sofort oder innerhalb einer kurzen Frist statt (vgl. § 418 Abs. 1 S. 1 StPO). Spätestens 6 Wochen nach Antragstellung soll die Hauptverhandlung abgeschlossen sein.
Wann können beschleunigte Verfahren eingesetzt werden? – Die Voraussetzungen
Regelungen über das beschleunigte Verfahren finden sich in der Strafprozessordnung in den § 417 StPO bis § 420 StPO. Hiernach kommt ein solches in Betracht, wenn sich aufgrund eines einfachen Sachverhalts oder klaren Beweislage eine sofortige Verhandlung anbietet.
Außerdem ist das beschleunigte Verfahren nur gegen Erwachsene, nicht aber gegen Jugendliche zulässig. Weiter darf in einem solchen Verfahren nur eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verhängt werden. Es kommen also faktisch nur bestimmte Taten in Betracht, Verbrechenstatbestände beispielsweise nur, wenn Milderungsgründe bereits zu Anfang ersichtlich sind.
Im Fokus muss jedenfalls immer stehen, dass es sich weiter um ein faires Verfahren handelt. Das heißt es müssen insbesondere die Rechte des Beschuldigten und der Verteidigung gewahrt werden.
Warum gibt es beschleunigte Verfahren?
Das beschleunigte Verfahren soll unter anderem sicherstellen, möglichst schnell und spürbar auf den Täter einzuwirken. In der Praxis könnte ein beschleunigtes Verfahren (sofern die anderen Voraussetzungen vorliegen) zum Beispiel in Betracht kommen, wenn es sich um Beschuldigte ohne oder mit häufig wechselnden Wohn- oder Aufenthaltsorten handelt.
Die schnelle Strafverfolgung soll nicht nur abschreckende, sondern auch Präventivwirkung entfalten, beispielsweise im Sinne eines effektiven Opferschutzes. Darüber hinaus kann es für den Täter von Vorteil sein, seinen Aufenthalt in Untersuchungshaft zu verkürzen oder insgesamt zu vermeiden.
Warum wird es bei den Schwimmbad-Körperverletzungen und Klima-Klebern wohl keine „Schnellverfahren“ geben?
Insbesondere in den anfangs beschriebenen Fällen kann schon von einer klaren Sachverhaltslage wohl nicht ausgegangen werden. Oft ist schon der Tathergang vor Ort (Was ist wann passiert? Wer hat angefangen? Warum? Wer war dabei?) aber auch die Beweislage nicht klar. Es lässt sich außerdem darüber spekulieren, wieso es überhaupt zur Forderung nach „Schnellverfahren“ kommt, wenn sich die Fälle hierfür aus rechtlicher Sicht eindeutig nicht eignen.
Aktuelle Beiträge zum Thema Verhaltenstipps:
Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder – Änderungen im Sexualstrafrecht vom Bundesrat akzeptiert
Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder -Änderungen im Sexualstrafrecht vom Bundesrat akzeptiert 19. Mai 2021Am 07.Mai 2021 entschied sich der Bundesrat...
Erfolg in der Berufungsinstanz – Freispruch vom Vorwurf des unerlaubten Erwerbs und der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln
Erfolg in der Berufungsinstanz – Freispruch vom Vorwurf des unerlaubten Erwerbs und der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln 21. April 2021Ein Mann erhält ein Paket mit der...
Erfolg am Amtsgericht: Freispruch vom Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Waffenmunition
Erfolg am Amtsgericht: Freispruch vom Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Waffenmunition 25. Februar 2021In einem Kellerraum einer Bundeswehrkaserne werden große Mengen von...
Aufhebung des Haftbefehls trotz Raubvorwurf, mehrerer offener Bewährungsstrafen und drohender mehrjähriger Freiheitsstrafe
Aufhebung des Haftbefehls trotz Raubvorwurf, mehrerer offener Bewährungsstrafen und drohender mehrjähriger Freiheitsstrafe 27. Mai 2020Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht...
Einstellung des Drogenstrafverfahrens nach §153 I StPO trotz Besitz von mehr als 50 g Marihuana und Waffen
Einstellung des Drogenstrafverfahrens nach §153 I StPO trotz Besitz von mehr als 50 g Marihuana und Waffen 07. April 2020Unsere Kanzlei für Strafrecht aus Berlin vertrat einen...
Jugendstrafsache – Freispruch beim Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB
Jugendstrafsache – Freispruch beim Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB 17. Oktober 2019Der minderjährige Mandant wird nach irriger...
AG Tiergarten – Schöffengericht: Kurze Bewährungsstrafe beim Vorwurf Besitz von Betäubungsmittel in nicht geringen Mengen erwirkt
AG Tiergarten – Schöffengericht: Kurze Bewährungsstrafe beim Vorwurf Besitz von Betäubungsmittel in nicht geringen Mengen erwirkt 25. Juni 2018Der Angeklagte kultivierte in einem...
AG Tiergarten: Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223, 224 StGB wird gem. § 153 II StPO in der Hauptverhandlung eingestellt
AG Tiergarten: Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223, 224 StGB wird gem. § 153 II StPO in der Hauptverhandlung eingestellt 25. Juni 2018Dem heranwachsenden...
Freispruch für fünf Angeklagte. Vorwürfe nach dem Vereinsgesetz erhärten sich nicht.
Freispruch für fünf Angeklagte. Vorwürfe nach dem Vereinsgesetz erhärten sich nicht. 14. Juni 2018Auf einer Kundgebung zum Thema „Freiheit für Öcalan“ tanzten die Angeklagten den...
Der Tod einer Porzellanfigur – Krieg am Gartenzaun § 303 StGB
Der Tod einer Porzellanfigur – Krieg am Gartenzaun § 303 StGB 03. April 2018Es herrscht Krieg. Krieg unter Nachbarn. Und in der Silvesternacht wurden die scharfen Geschütze...
Typische Straftaten an Silvester – Vorladung erhalten, was nun?
Typische Straftaten an Silvester – Vorladung erhalten, was nun? 03. Januar 2018Die Silvesternacht ist wohl eine der turbulentesten Nächte des Jahres. Überall wird gefeiert, vor...
Das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ – Die StPO-Reform 2017
Das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ – Die StPO-Reform 2017 05. September 2017Überraschenderweise hat die deutsche Gesetzgebung...
Datenträger der TKÜ müssen überlassen werden
Datenträger der TKÜ müssen überlassen werden 01. Dezember 2015Das Landgericht Bremen hat mit der Verfügung vom 16.06.2015 – 4 KLs 500 Js 63429/14 die Rechte der Verteidigung...
Die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden endet mit Befassen des Eilrichters
Die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden endet mit Befassen des Eilrichters 01. September 2015Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Beschluss vom 16.06.2015 – 2 BvR...
Nehmen Sie jetzt Kontakt zum Anwalt Ihres Vertrauens auf
Wenden Sie sich für weitere Fragen gerne an unsere Kanzlei und vereinbaren einen Beratungstermin per Telefon, per Videoanruf oder vor Ort in unseren Kanzleiräumlichkeiten in Berlin, Hamburg oder München.