Keine Klarnamenpflicht in sozialen Netzwerken

Keine Klarnamenpflicht in sozialen Netzwerken. (Foto: © Nmedia – stock.adobe.com)

BGH: Keine Klarnamenpflicht in sozialen Netzwerken

1.06.2022 | Medien- und Wirtschaftsrecht

Facebook muss Pseudonyme nach alter Rechtslage zulassen – Was gilt für Neuanmeldungen in Social Media nach Inkrafttreten der DSGVO?

Egal, ob der neue Chef sich nicht über die letzten Wochenendeskapaden informieren können soll, der Schulkamerad aus Kindertagen nicht unbedingt wissen muss, wer tatsächlich hinter der Freundschaftsanfrage steckt, oder ob es einem schlicht „um’s Prinzip“ geht: Viele Nutzer von Social Media würden sich lieber hinter Pseudonymen verstecken als ihren Klarnamen preiszugeben.

Der BGH gibt dafür seit Januar auch grünes Licht und verneint eine Klarnamenpflicht in Social Media konkret für die Nutzung von Facebook (vgl. BGH, Urt. V. 27.01.2022, Az.: III ZR 3/21 und III ZR 4/21). – Allerdings gilt dies ausdrücklich nur nach alter Rechtslage und damit nur für diejenigen Nutzerprofile, welche schon vor dem Inkrafttreten der DSGVO (Datenschutzgrundverordnung) am 25.05.2018 erstellt wurden.

Social Media-Accountsperrungen waren Auslöser für den Rechtsstreit

Der dritte Zivilsenat des BGH hatte im vergangenen Dezember in zwei Fällen zu entscheiden, ob eine Klarnamenpflicht in den Nutzungsbedingungen bzw. AGB von Social Media-Anbietern zulässig ist. Konkret ging es darum, dass die Beklagte (Facebook/Meta) die User-Accounts beider Kläger gesperrt hatte, weil diese ihr privates Nutzerkonto unter einem Pseudonym führten und damit gegen die ausdrückliche Klarnamenpflicht in den Facebook-AGB verstoßen hatten.

Beide Kläger hatten ihre Nutzerkonten vor dem Inkrafttreten der DSGVO erstellt und dafür einen Nutzungsvertrag mit der Beklagten auf Grundlage der damals geltenden Nutzungsbedingungen geschlossen. Der Nutzungsvertrag unterlag dabei damals wie heute deutschem Recht. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war die Klausel in den AGB hinsichtlich einer Klarnamenpflicht nach Ansicht des BGH unwirksam.
Die Pflicht, als Profilnamen ausgerechnet den Namen anzugeben, der auch im wahren Leben verwendet wird, bindet die Kläger aus einem einfachen Grund nicht: Und zwar, weil diese Pflicht gegen damals geltendes nationales Recht verstieß. Der BGH bezieht sich hier auf den seit 30.11.2021 gestrichenen – und im neuen § 19 Abs. 2 S. 1 TDDDG (Telekommunikation-Digitale-Dienste-Datenschutz-Gesetz) der Regelung nach übernommenen – § 13 Abs. 6 S. 1 TMG a.F. (Telemediengesetz alte Fassung):

„Anbieter von digitalen Diensten haben die Nutzung von digitalen Diensten und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist.“

Damit hält die streitgegenständliche AGB-Klausel keiner Inhaltskontrolle gem. §§ 307 ff. BGB statt und ist deshalb auch unwirksam. Danach sind Bestimmungen in den AGB nämlich immer dann unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Davon kann nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgegangen werden, wenn eine Klausel von den wesentlichen Grundgedanken der kollidierenden gesetzlichen Regelung abweicht. – Und eine nach außen gerichtete und damit an die Öffentlichkeit gerichtete Klarnamenpflicht berührt zweifellos den Wesensgehalt des Rechts auf anonyme und pseudonyme Nutzung von sozialen Medien. Überdies bestätigte der BGH die Anwendbarkeit des § 13 Abs. 6 S. 1 TMG a.F. aufgrund der Vereinbarkeit mit der seit 1995 geltenden europäischen Datenschutz-Richtlinie.

DSGVO auf Kollisionskurs mit nationalem Medienrecht

Bis hierhin scheint die Lage zu Ungunsten der Beklagten klar zu sein. Allerdings kam ein entscheidender Faktor hinzu:
Am 25.05.2018 trat die DSGVO in Kraft, hob die Datenschutz-RL auf, und traf nicht nur keine Aussage bezüglich eines Rechts der pseudonymen Nutzungsrechte. – Nein, ein entsprechender Antrag von deutscher Seite aus wurde sogar abgelehnt und schaffte es nicht in den neuen europäischen Datenschutzrahmen zur Verarbeitung personenbezogener Daten. Bei der DSGVO handelt es sich um in EU- und EWR-Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht. Damit befanden sich ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der DSGVO Unionsrecht und nationales Recht auf Kollisionskurs.

Allerdings gilt zu Zwecken der binnenstaatlichen Rechtssicherheit und der dafür notwendigen Harmonisierung von Unionsrecht ein Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Recht. Das bedeutet nicht, dass nationale Vorschriften nicht mehr gelten. Es bedeutet lediglich, dass im Falle eines Widerspruchs Unionsrecht vorrangig anzuwenden ist bzw. nationale Gesetze unionsrechtskonform ausgelegt werden müssen. Deutschland und das BVerfG behalten sich dabei jedoch seit der Solange II-Rechtsprechung von 1986 eine besondere Ausnahme vor: Kein Anwendungsvorrang, wenn der europäische Grundrechtsschutz den des Grundgesetzes unterschreitet. Dem Grunde nach ist § 13 Abs. 6 S. 1 TMG a.F. und damit auch der § 19 Abs. 2 S. 1 TDDDG aufgrund des Anwendungsvorrangs der DSGVO als unionsrechtlichem Maßstab nicht anwendbar. Könnte sich aus dem Solange II-Vorbehalt etwas anderes ergeben? Dazu später mehr.

Alte Rechtslage als Maßstab für das Bestehen einer Klarnamenpflicht vor 2018

Wie relevant sind diese Überlegungen für den vorliegenden Fall und unsere Accountinhaber? Wirft man wie der BGH einen Blick auf die zeitliche Abfolge der Ereignisse, ergibt sich daraus Folgendes:
Beide Kläger sind das Vertragsverhältnis mit der Beklagten noch vor dem Inkrafttreten der DSGVO eingegangen. Bis dahin war § 13 Abs. 6 S. 1 TMG a.F. mit dem Unionsrecht (DS-RL) vereinbar. Daraus ergibt sich wiederum eine Unwirksamkeit der Klarnamenpflicht in den AGB bis zum 25.05.2018. Eine nachträgliche Wirksamkeit kann nicht auf den vorgelagerten Zeitpunkt des Vertragsschlusses übertragen werden. Mithin bleibt es bei der DS-RL als Maßstab für die Anwendbarkeit nationalen Rechts vor Mai 2018.

Das einzige Zugeständnis, das der BGH der Beklagten in Bezug auf den Klarnamen machte, war das Recht auf Erhebung der wahren Namen der Nutzer als Bestandsdaten (= Innenverhältnis) zu Zwecken der Sanktionierung und ggf. Strafverfolgung hinsichtlich von Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen, insbesondere bei Verletzungen von Rechten Dritter. Damit wurde im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung dem Erfordernis des § 13 Abs. 6 S. 1 TMG a.F. genüge getan, dass die pseudonyme Nutzung dem Diensteanbieter zumutbar sein muss. Achtung: Der Klarname muss nur in der Datenbank hinterlegt werden und darf nicht ohne Zustimmung des Nutzers veröffentlicht werden. Auch darf ein Nutzer, welcher vor Inkrafttreten der DSGVO einen Nutzungsvertrag mit Facebook geschlossen hat, nicht dazu gezwungen werden, seinen Klarnamen als Nutzernamen (=Außenverhältnis) zu verwenden.

Fazit: Was gilt nun für Nutzungsverträge nach Inkrafttreten der DSGVO?

Dem aufmerksamen Leser drängt sich nun eine wesentliche Frage auf:
Der BGH hat die Vereinbarkeit des § 13 Abs. 6 S. 1 TMG a.F. lediglich anhand des Maßstabs der DS-RL geprüft. Allerdings wurde doch der Wortlaut des § 13 Abs. 6 S. 1 TMG a.F. vollständig im  § 19 Abs. 2 S. 1 TTDSG und nahezu vollständig im geltenden § 19 Abs.2 S.1 TDDDG übernommen. Ergibt sich daraus nicht ein erneutes kollisionsgeladenes Spannungsverhältnis zwischen nationalem und europäischem Recht?
– Dadurch, dass die streitgegenständlichen Vertragsverhältnisse vor Inkrafttreten der DSGVO eingegangen wurden, sah der BGH keine Notwendigkeit, danach bestehendes nationales Recht anhand des neuen Unionsrechts auf Vereinbarkeit zu überprüfen.
Damit lässt er wiederum die Frage offen, ob nun eine Klarnamenpflicht für Verträge ab dem 25.05.2018 gilt oder nicht.

Die Frage nach dem Anwendungsvorrang der DSGVO müsste folglich noch entschieden werden. Problematisch könnte dabei sein, dass der deutsche Gesetzgeber einen solchen ausschließt, wenn der Grundrechtsschutz unterschritten wird. Konkret könnte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Auswuchs des aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleiteten Allgemeinen Persönlichkeitsrechts das ausschlaggebende Gegenargument sein. Unter Umständen unterschreitet nämlich der Schutz auf informationelle Selbstbestimmung der DSGVO durch das Weglassen einer pseudonymisierten Nutzungsmöglichkeit von Sozialen Medien den Schutz des Grundgesetzes. In der Folge könnte ein Anwendungsvorrang des Unionsrechts ausgeschlossen sein.
Diese Frage und auch die nach einer sich überhaupt stellenden Notwendigkeit einer Klarnamenpflicht zur Wahrung von Rechten Dritter mit Blick auf die Auskunftsansprüche aus dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz werden wegen fehlender Positionierung des BGH durch die künftige Rechtsprechung noch zu klären sein.

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