Foto: © Max Woyack

BGH zum Recht auf Vergessenwerden: Der Einzelfall entscheidet

27.07.2020 | Medien- und Wirtschaftsrecht

Am 27.07.2020 hat der Bundesgerichtshofes zwei für das Recht auf Vergessenwerden maßgebliche Entscheidungen verkündet.

Von RA David Herz, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht.

Worum geht es in den Urteilen?

I. Verfahren Az. VI ZR 405/18 (Vorinstanz: OLG Frankfurt / Main)

Der Kläger war Geschäftsführer eines Regionalverbandes einer Wohlfahrtsorganisation. Im Jahr 2011 wies dieser Regionalverband ein finanzielles Defizit von knapp einer Million Euro auf; kurz zuvor meldete sich der Kläger krank. Über beides berichtete seinerzeit die regionale Tagespresse unter Nennung des vollen Namens des Klägers. Der Kläger begehrt nunmehr von der Beklagten als der Verantwortlichen für die Internetsuchmaschine „Google“, es zu unterlassen, diese Presseartikel bei einer Suche nach seinem Namen in der Ergebnisliste nachzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Die Voraussetzungen eines Auslistungsanspruchs gemäß Art. 17 Abs. 1 DS-GVO seien nicht gegeben. Zwar enthielten die von der Beklagten verlinkten Presseartikel Gesundheitsdaten des Klägers i.S.v. Art. 9 Abs. 1 DS-GVO. Doch sei die Verarbeitung der Daten durch die Beklagte zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich (Art. 17 Abs. 3 Buchst. a DS-GVO). Die insoweit notwendige Grundrechtsabwägung führe im Ergebnis zur Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung der Beklagten.

II. Verfahren Az. VI ZR 476/18 (Vorinstanz: OLG Köln)

Der Kläger ist für verschiedene Gesellschaften, die Finanzdienstleistungen anbieten, in verantwortlicher Position tätig oder an ihnen beteiligt. Die Klägerin ist seine Lebensgefährtin und war Prokuristin einer dieser Gesellschaften. Auf der Webseite eines US-amerikanischen Unternehmens, dessen Ziel es nach eigenen Angaben ist, „durch aktive Aufklärung und Transparenz nachhaltig zur Betrugsprävention in Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen“, erschienen im Jahr 2015 mehrere Artikel, die sich kritisch mit dem Anlagemodell einzelner dieser Gesellschaften auseinandersetzten. Einer dieser Artikel war mit Fotos der Kläger bebildert. Über das Geschäftsmodell der Betreiberin der Webseite wurde seinerseits kritisch berichtet, u.a. mit dem Vorwurf, sie versuche, Unternehmen zu erpressen, indem sie zunächst negative Berichte veröffentliche und danach anbiete, gegen ein sog. Schutzgeld die Berichte zu löschen bzw. die negative Berichterstattung zu verhindern. Die Kläger machen geltend, ebenfalls erpresst worden zu sein. Sie begehren von der Beklagten als der Verantwortlichen für die Internetsuchmaschine „Google“, es zu unterlassen, die genannten Artikel bei der Suche nach ihren Namen und den Namen verschiedener Gesellschaften in der Ergebnisliste nachzuweisen und die Fotos von ihnen als sog. „thumbnails“ anzuzeigen. Die Beklagte bestreitet die Behauptung der Kläger, die Berichte über sie seien unwahr, im Wesentlichen mit Nichtwissen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger blieb ohne Erfolg. Da ein Suchmaschinenbetreiber – so das Oberlandesgericht – in keinem rechtlichen Verhältnis zu den Verfassern der in den Ergebnislisten nachgewiesenen Inhalten stehe, sei ihm die Ermittlung und Bewertung des Sachverhalts nicht möglich. Soweit maßgeblich auf den Wahrheitsgehalt der behaupteten Tatsache abzustellen sei, treffe die Darlegungs- und Beweislast hierfür daher in jedem Fall den Steller eines Auslistungsanspruchs. Im Streitfall hätten die Kläger der Beklagten keine offensichtliche und auf den ersten Blick klar erkennbare Rechtsverletzung dargelegt.

Was bedeutet die DS-GVO für mich als Otto Normalverbraucher?

Die DS-GVO gibt den Menschen mehr Kontrolle über ihre persönlichen Daten, mehr Selbstbestimmung, mehr Privatsphäre, mehr Transparenz. Darüber hinaus wird die Position der von einer Datenverarbeitung Betroffenen im Allgemeinen gestärkt.

  • Durch die DS-GVO bekommt der Verbraucher vor allem mehr Rechte, weniger Pflichten
    • Recht auf Information
      • verständlich formulierte Datenschutzerklärung
      • Vor der Datenerhebung muss der Verbraucher darüber informiert werden, welche Daten
        • preisgegeben werden sollen
        • zu welchem Zweck diese verwendet werden.
        • wie lange diese Daten gespeichert werden
      • Umfangreiches Auskunftsrecht
        • Jederzeit Auskunft bei der datenverarbeitenden Stelle über alle Daten, die über den Betroffenen gespeichert sind
        • Informationen müssen in präziser, verständlicher und leicht zugänglicher Form und in einer klaren und einfachen Sprache erfolgen
      • Rechts auf Berichtigung und Löschung
        • Recht auf Berichtigung oder Löschung der Daten bei Fehlerhaftigkeit oder unrechtmäßiger Erhebung
      • Einwilligung als Prämisse
        • Datenverarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn eine Einwilligung vorliegt oder die Daten des Betroffenen auf einer anderen gesetzlichen Grundlage verarbeitet werden (z.B. Erfüllung eines Vertrages)
        • Vorformulierte Einwilligungen müssen verständlich und leicht zugänglich sein, die Zwecke der Datenverarbeitung genau benennen und dürfen keine missbräuchlichen Klauseln enthalten
      • Recht auf Widerruf
        • Einwilligungen können jederzeit und ohne Begründung widerrufen werden
      • Recht auf Widerspruch
        • Bei ungewollter Verwendung der Daten kann der Verarbeitung dieser widersprochen werden
        • Besondere Rechte bei automatisierter Entscheidungsfindung
        • nur zulässig, wenn zur Erfüllung eines Vertrages nötig ist oder der Betroffene ausdrücklich eingewilligt hat
        • Anfechtungsmöglichkeit mit anschließender Überprüfung durch eine Person
      • Datenübertragbarkeit
        • Daten müssen in einem gängigen Format zur Verfügung gestellt werden, sodass diese bei anderen Anbietern verwendet werden können
      • Leichtere Beschwer bei Verstößen
        • Datenschutzbehörden als Ansprechpartner bei Problemen
        • Marktortprinzip: Jeder Datenverarbeitende, der seine Waren oder Dienstleistungen auf dem europäischen Markt anbietet, muss sich an das europäische Datenschutzrecht halten
        • Verbraucherzentralen sind bei der Durchsetzung der Rechte behilflich

Was ist das Recht auf Vergessenwerden im Internet?

Die für die Verarbeitung Ihrer Daten Verantwortlichen haben, soweit sie die personenbezogenen Daten veröffentlicht haben, bei einem berechtigten Löschverlangen noch eine zusätzliche Aufgabe: sie müssen vertretbare Schritte unternehmen, um andere Stellen, die diese Daten verarbeiten, zu informieren, dass Sie die Löschung aller Links auf diese Daten oder von Kopien oder Repliken verlangen (Art. 17 Abs. 2 DS-GVO).

In der Praxis richtet sich dies insbesondere an Suchmaschinenbetreiber, die beispielsweise die Betreiber weiterer Webseiten, auf die sie verlinken, über den Löschwillen des Verbrauchers informieren müssen

Das Recht auf Vergessenwerden regelt auch Löschungspflichten des Verantwortlichen, welche unabhängig von der Geltendmachung des Anspruchs sind

  • 17 Abs. 1 DS-GVO nennt sechs Löschungsgründe bei deren Vorliegen der Verantwortliche zur Löschung verpflichtet ist – unabhängig von der Geltendmachung
    1. Der Wegfall der Notwendigkeit zur Zweckerfüllung
    2. Der Widerruf der Einwilligung
    3. Der Widerspruch gegen die Verarbeitung
    4. Die Unrechtmäßigkeit der Verarbeitung
    5. Anderweitige Rechtspflicht zur Löschung
    6. Erhebung personenbezogener Daten eines Kindes in Bezug auf angebotene Internetdienste
  • 17 Abs. 3 DS-GVO regelt außerdem auch 5 Ausnahmen vom Löschungsanspruch/ -pflicht
    1. Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information
    2. Die Erfüllung einer Rechtspflicht oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben
    3. Das Vorliegen eines öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit
    4. Archivzwecke, Forschungszwecke, statistische Zwecke
    5. Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen

Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH hat die Entscheidung des OLG Frankfurt / Main, Az. VI ZR 405/18, bestätigt und das Verfahren des OLG Köln, Az. VI ZR 476/18, ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Entscheidung vorgelegt.

Im Einzelnen hat der BGH deutlich gemacht, dass der geltend gemachte Anspruch der Kläger auf Auslistung der streitgegenständlichen Ergebnislinks eine umfassende Grundrechtsabwägung erfordert, die auf der Grundlage aller relevanten Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs in die Grundrechte der betroffenen Person einerseits, der Grundrechte der Beklagten, der Interessen ihrer Nutzer und der Öffentlichkeit sowie der Grundrechte der Anbieter der in den beanstandeten Ergebnislinks nachgewiesenen Inhalte andererseits vorzunehmen ist. Da im Rahmen dieser Abwägung die Meinungsfreiheit der durch die Entscheidung belasteten Inhalteanbieter als unmittelbar betroffenes Grundrecht in die Abwägung einzubeziehen ist, gilt keine Vermutung eines Vorrangs der Schutzinteressen des Betroffenen, sondern sind die sich gegenüberstehenden Grundrechte gleichberechtigt miteinander abzuwägen.

Aus diesem Gebot der gleichberechtigten Abwägung folgt aber auch, dass der Verantwortliche einer Suchmaschine nicht erst dann tätig werden muss, wenn er von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung des Betroffenen Kenntnis erlangt. An seiner noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten der DS-GVO entwickelten gegenteiligen Rechtsprechung hält der Senat insoweit nicht fest.

Nach diesen Grundsätzen haben die Grundrechte des Klägers auch unter Berücksichtigung des Zeitablaufs im konkreten Fall hinter den Interessen der Beklagten und den in deren Waagschale zu legenden Interessen ihrer Nutzer, der Öffentlichkeit und der für die verlinkten Zeitungsartikel verantwortlichen Presseorgane zurückzutreten, wobei der fortdauernden Rechtmäßigkeit der verlinkten Berichterstattung entscheidungsanleitende Bedeutung für das Auslistungsbegehren gegen die Beklagte zukommt.

Dass das Verfahren des OLG Köln ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Entscheidung vorgelegt wurde, begründete der BGH damit, dass zunächst die Frage geklärt werden muss, ob es für das Recht auf Vergessenwerden auf die Wahrheit der zugrundeliegenden Tatsachenbehauptung ankommt und, wenn Bildnisse in sog. Thumbnails angezeigt werden, ob es auf den Kontext der damit zusammenhängenden Berichterstattung ankommt.

Im Ergebnis hat der BGH bestätigt, dass sich eine schematische Betrachtung des Sachverhaltes beim Recht auf Vergessenwerden verbietet und dass im Rahmen der Entscheidungsfindung sämtliche betroffenen Grundrechte sorgfältig und umfassend miteinander abzuwägen sind.


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